Arthur Honegger

Arthur Honegger: König David

Symphonischer Psalm in drei Teilen
nach dem Drama von René Morax
(Urfassung 1921)

Die Besetzung

Sopran - Alt - Tenor
Sprecher - Sprecherin
Chor
2 Flöten- Oboe - 2 Klarinetten - Fagott - Horn - 2 Trompeten - Posaune - Pauken & Schlagzeug - Kontrabaß - Celesta - Klavier - Orgel

Leben und Werk:

Arthur Honegger, am 10. März 1892 in Le Hâvre als Sohn schweizerischer Eltern geboren, begann seine Musikstudien in seiner Heimatstadt bei Robert-Charles Martin, setzte sie am Konservatorium in Zürich fort (1907-1909) und beendete sie am Konservatorium in Paris bei Widor, d'Indy und Gédalge (1913).
Seine Erstlingswerke (Klavierstücke und Lieder) datieren ungefähr aus den ersten Kriegsjahren; 1917 wurden sie in den Konzerten im Huyghens-Saale, die allerdings mehr privaten Charakter trugen, aufgeführt. Erst die Aufführungen seiner Musik zu "Le Dit des jeux du monde" im Vieux Colombier Theater (1918), der sinfonischen Dichtung "Le Chant de Nigamon" und von Teilen aus dem Mysterium "La Mort de Sainte Alméenne" in den Pasdeloup- und Colonne-Konzerten (1919) sowie des Orchesterwerkes "Pastorale d'été" in den Goldschmann-Konzerten (1920) - das ihm den Verley-Preis einbrachte - trugen seinen Namen in die Öffentlichkeit. In der nächsten Zeit folgten Kammermusikwerke (Violinsonaten), Sonaten für Bratsche und Klavier, für Cello und Klavier und 1921 die Musik zu "König David", die den erst 29-jährigen Honegger mit einem Schlage in die vorderste Reihe der damals lebenden Komponisten stellte, die eine neue Epoche repräsentieren.
Honegger ist einer der Führer der französischen Moderne und das Haupt der sogenannten Gruppe der "Sechs" (Milhaud, Poulenc, G. Taillefer, Auric, Duray), von denen er selbst sagt, daß sie keine ästhetische Gesellschaft bilden, sondern daß nur freundschaftliche Beziehungen diese verschieden gearteten Künstlernaturen verbinden.
Sein individueller Stil ist eine Art von Verschmelzung französischer und deutscher Eigenheiten; seine Musik wurzelt in der Kontrapunktik, liebt fugierende Gestaltung und verwendet klassische Formen. Honegger sucht nicht, wie manche Anti-Impressionisten, zur harmonischen Einfachheit zurückzukehren, sondern will gerade die harmonischen Errungenschaften der jüngsten Epoche verwertet wissen, nur in anderem Sinne, nämlich als Grundlage für musikalische Linien und Rhythmen.

Die Entstehungsgeschichte "König Davids"

In der verhältnismäßig kleinen Zahl von Oratorien des 20. Jahrhunderts ist Arthur Honeggers "König David" eines der am meisten aufgeführten. Es hat sich, obwohl nicht als Oratorium komponiert, einen festen Platz im Konzertleben erobert.
Seit 1908 gab es in Mézières, 15 km nordöstlich von Lausanne, das "Théâtre de Jorat", ein Volkstheater für sommerliche Aufführungen, bei denen die Bevölkerung mitwirkte. Mit Beginn des 1. Weltkrieges hatte es seine Pforten geschlossen. Zur Wiedereröffnung im Jahre 1921 schrieb der Leiter des Theaters, René Morax, das Drama "Le Roi David", das Davids Aufstieg vom einfachen Hirten zum König und Propheten behandelt. Aber noch Anfang 1921 fehlte der geeignete Komponist, der die Bühnenmusik zu dem biblischen Drama schreiben sollte.
Ernest Ansermet, der Dirigent des Orchestre de la Suisse Romande, gab den Rat, Honegger in Paris zu fragen.
Igor Strawinsky unterstützte diese Empfehlung. So fiel der Auftrag an einen in Frankreich lebenden Schweizer, der in seiner Heimat eher unbekannt war.
Honegger begeisterte sich schnell für den "König David", erfaßte sofort den Charakter des Werkes und entwickelte das Gespür dafür, wie es musikalisch lebendig gestaltet werden müßte. Die vom Theater vorgegebene kleine Besetzung - 2 Flöten, Oboe, 2 Klarinetten, Horn, Fagott, 2 Trompeten, Posaune, Kontrabaß, Klavier, Harmonium, Celesta, Schlagzeug - und ein großer Laienchor - bereitete ihm zunächst große Probleme. Igor Strawinsky, den er um Rat fragte, soll gesagt haben: "Das ist sehr einfach. Machen Sie es so, als wenn Sie diese Zusammensetzung gewollt hätten, und komponieren Sie für hundert Sänger und 17 Musiker."
Die Basis für die Musik war durch die Zusammensetzung der Mitwirkenden gelegt: Die Chöre mußten relativ einfach gesetzt sein, dem Orchester konnte Honegger eine moderne Schreibweise zumuten und sich zu ungewöhnlichen Klangwirkungen inspirieren lassen.
Aber Honegger ließ es nicht bei dieser simplen Aufteilung. Er gab auch dem Chor anspruchsvollere Aufgaben und ließ die Solisten, die ja Profis waren, teilweise sehr einfache Melodien singen.
Am 25. Februar 1921 wurde die Partitur in Angriff genommen und am 28. April war sie bereits beendet. Bei der Komposition mußte Honegger, da er nicht mit nochmaligem Überlesen oder nachträglichen Verbesserungen rechnen durfte, sich ganz darauf verlassen, alles so niederzuschreiben, wie sein Genie es ihm diktierte. Hieraus erklärt sich, daß das Werk vor allem ein Charakteristikum aufweist: absolute Ursprünglichkeit.
Die beiden Hauptelemente der Musik Honeggers treten auch hier immer wieder in Erscheinung: urwüchsige Kraft gepaart mit hinreißendem Schwung neben melodiöser, fast verträumter Lyrik. Dabei ist seine Ausdrucksweise absolut klar und präzis. In der scharf charakterisierenden Schilderung mit harmonisch zwar grellen, aber ungemein suggestiven Farben ist Honegger ebenso Meister wie in der restlosen Ausschöpfung der jeweiligen Stimmungsmomente. Wundervoll hat er verstanden, seine Musik den von der herben Erhabenheit der altprophetischen Sprache durchdrungenen Bibelworten anzupassen; dabei offenbart er wiederholt erstaunliche Kraft, eine bei aller Kürze ungewöhnliche Größe des Ausdrucks sowie tiefe und reiche Empfindung. Aus jeder Epoche hat er den ihr innewohnenden musikalischen Sinn herausgefühlt, stets aber unter Wahrung des einheitlichen knappen Charakters.
Nur dort geht seine Musik mehr in die Breite, wo ein grandioser Effekt dies verlangt (Beschwörung der Hexe von Endor, Tanz vor der Bundeslade); im allgemeinen sind die Einzelnummern kaum länger als dreißig Takte.
Die Breite der vorkommenden Stilelemente geht von mittelalterlichen Organumklängen (Nr. 8) über instrumentale Malerei, die an Programmmusik erinnert (Nr. 5), und modale Skalen, die den orientalischen Charakter des Werkes betonen (Nr. 14), bis zu modernen Techniken wie Polytonalität und freien Dissonanzverwendungen.
Der Erfolg des Werkes in dieser ersten Fassung veranlaßte Honegger, es auch im Konzertsaal aufführen zu lassen.
Ursprünglich also ein Bühnendrama, wurde nun "König David" zu einer Art Oratorium umgebildet und auf den Rahmen des Konzertsaales erweitert. Dabei ging die dramatische Handlung in die Rolle des Erzählers über, um dessen teilweise melodramatisch gesteigerte Schilderung die Musik in Einzelgesängen, Chören und Orchesterstücken mit einer seltenen Fülle von Gedanken und Stimmungsgegensätzen ihr Band schlingt.
Nun war kein Grund mehr zu instrumentaler Einschränkung gegeben, und so verwendet Honegger in dieser zweiten Fassung das ganze Streichquintett, wahrt aber den Holz- und Blechbläsern, die er durch 1 Oboe, 1 Fagott, 3 Hörner, 2 Posaunen und 1 Tuba
vervollständigt, ihre ehemalige Vorherrschaft. Die so entstandene Orchesterbesetzung ist:
Streichquintett, 2 Flöten, 2 Oboen, 1 engl. Horn, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Harfe, Schlagzeug, Celesta, Orgel (ad lib.).

Die Partitur Honeggers ist bei all ihrer "fast schematischen Einfachheit" (auf die Honegger selbst die Tatsache zurückführt, daß man dem "König David" allerorts sofort mit vollem Verständnis begegnet ist und ihm einen einzigartigen Erfolg bereitet hat) überaus wirkungsvoll und verrät in jeder Note den Musiker, der mit Überlegenheit die Elemente der musikalischen Formenwelt von Bach bis auf die Allerjüngsten meistert. Er baut auf hergebrachte Formen auf, erfüllt sie aber mit neuem Geist.
[Ingo Schulz]

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