Leon Schidlowsky: Der schwarze Gott


Das Werk ist 1980 in Berlin entstanden. Zugrunde liegt folgender Text von Klabund:
1.
Ich bete
Ich brülle
Wie ein Stier.
Meine Zeit!
Meine Jahre!
Zu dem ich flehe:
Er heißet Gott
Er ist mein Gott
Mein Glücklicher.

2.
Du Eidechse Großmutter
Bleib still
Bleib liegen
In der süßen Sonne
Die schmeckt wie wilder Wein
Der alten Frau.

3.
Ich lag bei schwarzen Mädchen
Auf Bastgeflecht
In Hütte
Oder am Bach im Kraut.
Wir liebten uns wie Schnecken.

4.
Schwarzer Gott!
Ho!
Wasser!
Gehörnter
Irdischer
Gib Wasser
Ho!
Dem schwarzen Mann!

5.
Wo weilt unsere Kuh?
Wo eilt unsere Kuh_
In welche Wüste?
Weite?

Ich bin einsam
Wie ein Kälbchen
Ohne Kuh
Und blöke:
Nach meiner Milch
Nach meiner Mutter
Nach meiner Kuh.

6.
Grauer Gott:
Gibt Gut!
Dunkler Gott:
Gib Haus.
Schwarzer Gott:
Gib Milch.
Lichter Gott:
Gib Licht.
Segne Kuh
Kind
Weib.

7.
In der Abendsonne
Sang der Silberne.
Im Morgen
Dämmerte Schwestergold

Bruder am Mittag.
Am Nachmittag dann viele.
Die Tausende
Das Volk.

Die sieben Strophen sind in sieben Graphiken vertont, die Annäherung an das afrikanische Textumfeld geschieht durch die extreme Schlagzeugbesetzung: 2 Bongos, 3 Congas, 3 kl. Trommeln, 3 Tomtoms, 2 gr. Trommeln, 4 Pauken, 7 hängende Becken, 3 Tamtams, 1 Maraca, 1 Guiro, Glass wind chimes, Shell wind chimes, Bell wind chimes, Wood wind chimes, Schellen, Herdenglocken, Flexaton, Glockenspiel, Xylophon, Marimbaphon und Glocken!
Nach Auskunft des Komponisten soll das Werk von einer (möglichst schwarzen) Frau und einem männlichen Flötisten aufgeführt werden. Das Schlagzeug wird optimal von vier Spielern gespielt, zur Not ist es auch mit nur zwei Spielern aufführbar.
Nötig ist eine Bühne, an deren vier Ecken das Schlagzeug aufgestellt wird, d.h. bei nur zwei Spielern müssen diese den Ort wechseln.
Die Sängerin und der Flötist spielen auf der Bühne, wobei die Bewegungen durch den Ort der Notation auf dem Blatt angegeben wird (Das Blatt "ist" die Bühne).
Die Sängerin sollte schwarz gekleidet sein, der Flötist weiß.
Der sehr "erdige", teilweise auch erotische Charakter des Werkes muß in der Art der Darstellung berücksichtigt werden, Sängerin und Flötist führen einen rituellen Tanz auf, im Stehen, kriechend und im Liegen.

Hier eine Erklärung der ersten Graphik des Zyklus "Der schwarze Gott":
Der genaue Ablauf ist am besten anhand des Original-Textes zu verfolgen, aber auch in der Graphik ersichtlich, wenn man den angegebenen Weg (Pfeile, Linien...) genau verfolgt.
Die Sängerin und der Flötist beginnen auf der Bühne hinten links (vom Zuschauer aus gesehen) und bewegen sich erst nach rechts, dann etwas nach vorne und nach links bis zur Mitte der Bühne. Dort finden kreisende Bewegungen statt; danach geht die Bewegung wieder nach hinten rechts (aber nicht ganz bis zum Rand der Bühne).
Der musikalische Ablauf ist bei diesem Werk relativ einfach zu verfolgen und soll deshalb hier nur angedeutet werden.
Die Sängerin beginnt mit einem laut gesungenen i, das dann immer leiser wird. Auf dem ch findet eine den Laut modulierende Bewegung statt. Das Wort bete beginnt mit einem sehr kräftigen B, auf das das gesungene e (starke Schwankungen in Tonhöhe und Lautstärke) folgt. Der Schluß des Wortes bete ist dann sehr leise. Auf ein sehr tief und leise angesetztes ich (gesungen), das sich in der Lautstärke steigert, folgt wesentlich höher gesungen, ebenfalls mit starker Steigerung, brülle, wobei das Ende sehr hoch und leise gesprochen wird. Die Worte Wie ein sind jeweils mit einem kleinen Aufwährtsglissando verbunden, das Wort Stier beginnt mit einem kräftigen sch (nicht s!), das dann leiser wird. Auf das kurze t folgt ein gesungenes i mit Aufwährtsglissando. Das abschließende r wird lange gerollt. Die gesammte Phrase beschreibt in der Tonhöhe eine Art Halbkreis.
Der Abschnitt meine Zeit meine Jahre zu dem ich flehe wird gesprochen und oft wiederholt, das Tempo steigert sich immer mehr.
Der weitere Ablauf des Werkes ist entsprechend und dürfte nicht mehr allzu schwer zu entziffern sein, wobei es wichtig ist, die Gesangs- und Flötenstimme gut auseinander zu halten. In der obersten "Zeile" ist die Flötenstimme sehr deutlich. Sie folgt dann einem Pfeil in den mittleren Bereich, wo viele Kreuze und Punkte den Verlauf der Stimme angeben (immer bedenken: Größe = Lautstärke).
Die Silbe Ho taucht in dieser Strophe des Textes im Original nicht auf. Sie ist der vierten Strophe entnommen und beschließt hier diesen ersten Teil.
Während der Verlauf von Singstimme und Flöte sehr deutlich und auch eindeutig gekoppelt sind, ist der Verlauf der Schlagzeugstimmen sehr frei. Wann gespielt wird, in welcher Richtung gelesen wird (die nach links weisenden Pfeile am rechten Rand erlauben auch die Leserichtung von rechts nach links) u.s.w. ist den Interpreten überlassen. Sie müssen für eine überzeugende Form des Ganzen sorgen. So würde es sich z.B. anbieten, das Werk mit einer Schlagzeugeinleitung zu beginnen und dann Sängerin und Flöte erst einmal allein spielen zu lassen. Beim ersten "Rückweg" der Flöte könnten gut Flöte und Schlagzeug spielen. Dann vielleicht wieder hauptsächlich Gesang und Flöte mit langsam zunehmender Dichte der Schlagzeugklänge, die dann auf dem gesungen Ho einen Höhepunkt erreichen und das Werk danach allein beschließen.
Wie bei vielen Werken Schidlowskys ist auch hier dem Schlagzeug eine eher begleitende Funktion zugedacht, was nicht heißt, daß leise gespielt wird, das Schlagzeug muß am meisten improvisieren, anhand der Graphik auf die anderen Musiker reagieren.

Das Werk wurde am 23.9.2000 in der Emmaus-Kirche, Berlin-Kreuzberg, uraufgeführt.

[Ingo Schulz]

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